Es braucht ein ganzes Dorf…

Interview mit Steffi von „Mamas Dorf“

Mamas Dorf ist eine Seite, wo Mütter im Alltag Unterstützung finden und sich miteinander vernetzen können.

Wir haben mit Steffi, der Initiatorin der Seite, ein spannendes Interview geführt …

Liebe Steffi, du bist selbst Mama und hast die Elternzeit unter anderem genutzt, um die Seite „Mamas Dorf“ ins Leben zu rufen. Seit wann gibt es deine Seite und was gibt es dort zu entdecken?

Mamas Dorf“ gibt es seit letztem Jahr, das Projekt steht also noch ganz am Anfang. Das virtuelle Dorf soll Sammelstelle sein für Beratungsangebote, Yoga, Meditation, Austausch, Eltern-Coaching – kurz, für alles, was Unterstützung im Eltern-Alltag sein kann. Es gibt zum Beispiel tolle kostenlose Angebote wie das Corona-Hilfs-Telefon. Man soll dort alles finden können, von der Federwiege über Bücher bis hin zu einer Gemeinschaft, die sich gegenseitig unterstützt, Essen vorbeibringt usw.

Im zweiten Schritt dann möchte ich auch helfen, die Situation für junge Familien im Allgemeinen in unserer Gesellschaft besser zu machen. Hier denke ich an die Themen Partnerschaft und Gemeinschaftsbildung. Ich hoffe auch, dass dann immer mehr Menschen sich als Teil der Community sehen und sie mit ihren Erfahrungen und aktiver Unterstützung mit gestalten.


Du schreibst, dass du selbst das Wochenbett und die ersten Monate mit deiner Tochter teilweise als belastend empfunden hast, ist das richtig?

Genau. Ich konnte sie nicht ablegen, sie war auch im Kinderwagen nicht zufrieden und hat viel geweint. Sie brauchte immer mich und Körperkontakt. Das war unheimlich anstrengend. Vor allem die Nächte waren schlimm, teilweise ist sie alle 20 min aufgewacht. Anfangs hatten wir auch keine Unterstützung und keinen Austausch. Den fand ich dann später zum Glück in einer Gruppe über Nebenan.de, über meinen Rückbildungskurs und direkt in der Nachbarschaft, was mir unglaublich geholfen hat.


Hattest du dir die erste Zeit mit Baby anders vorgestellt?

(lacht) Ja, total. Ich hatte schon in der Schwangerschaft viel gelesen und geplant und dann kam alles anders. Das fing schon mit der Geburt an, die ganz anders verlief, als ich mir das gewünscht hatte (in der Uniklinik mit Einleitung statt im Geburtshaus). Ich hatte schon geglaubt, mehr hinkriegen zu können, also auch mehr Zeit für mich zu haben, dass ich mal ein Buch lesen kann, mit Freunden telefonieren und einfach mehr entspannen und auftanken kann. Das war leider nicht so, das lag sicher auch an der fehlenden Unterstützung.


Ist das ein Phänomen unserer Zeit, dass wir mit überhöhten Erwartungen und falschen Vorstellungen in das Elternsein reingehen?

Ich glaube schon. Vielleicht hat man auch heute durch das Konzept der bedürfnisorientierten Erziehung ein hohes Ideal, möchte die Bedürfnisse des Babys zeitnah erfüllen, das Kind nicht schreien oder alleine schlafen lassen.

Die Bedürfnisse der Eltern kommen dann oft zu kurz.

Auch die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist anspruchsvoll und für viele Mütter ist es kaum möglich, all ihren Rollen gerecht zu werden.
Viele bekommen auch nicht mehr mit, wie das Leben mit kleinen Kindern ist, weil der Kontakt fehlt. Die Großfamilie ist hierzulande fast ausgestorben, wir sehen kaum noch Stillende oder Babys in ihrem häuslichen Umfeld.


Hast du das Wochenbett mit deinem zweiten Kind anders erlebt?

Ja, auf jeden Fall. Anfangs war es schon nochmal sehr herausfordernd, aber ich war insgesamt souveräner und kannte vieles schon. Klar ist es auch anstrengend, dann auch noch dem älteren Kind gerecht zu werden, aber wir waren auch besser vorbereitet. Ich habe mir gar nichts vorgenommen, wir hatten eine Putzfrau organisiert, mein Mann hatte länger Elternzeit und ab der 8. Woche kam auch eine wellcome-Frau zu uns, um einmal die Woche mit unserem Sohn spazieren zu gehen.


Wie du schon gesagt hast, fehlt es frischgebackenen Eltern heute oft am „Dorf“. Sie haben keine oder wenig familiäre Unterstützung und selten ein soziales Netz in der Nachbarschaft oder im Freundeskreis, dass sie mental und durch Taten unterstützt in dieser oft nervenaufreibenden Zeit. Dein Ziel ist es auch, dass sich Eltern dieses Netz um sich herum wieder aufbauen. Dazu muss man aber um Hilfe bitten können und kontaktfreudig sein, oder? Das ist ja nicht jedermenschs Sache …

Hm … ja, viele wollen anderen nicht zur Last fallen oder trauen sich nicht, (vermeintliche) Schwäche zu zeigen. Vielleicht ist das einfacher in einer Gruppe. Außerdem kann man auch lernen, um Hilfe zu bitten, es hilft zum Beispiel konkret zu werden, also statt: „oh könntest du mir mal irgendwann die Kinder abnehmen“ eher: „Du, am Donnerstag könnte ich von 10 bis 11 Uhr mal Yoga machen, könntest du da mal mit meinem Kind auf den Spielplatz gehen?“ Die Leute freuen sich, wenn sie helfen können.


Ich selbst erlebe bei dem Versuch, mir mein Dorf rund ums Elternsein aufzubauen, auch oft Unverbindlichkeit, Distanziertheit und Abgrenzung. Da vergeht mir manchmal der Mut und die Lust nach „mehr“ zu fragen. Also beispielsweise eine gegenseitige, regelmäßige Kinderbetreuung anzuregen oder gemeinsames Kochen/Essen/Haushaltsaufgaben teilen.

Es ist ein altes Konzept, aber ein neuer Gedanke, und heute wollen viele alles über den Partner abwickeln, alles innerhalb der Kernfamilie, was aber manchmal einfach nicht zu leisten ist. Vielleicht muss sich das erst wieder neu etablieren.


Es gibt auf deiner Seite auch eine Umfrage, in der Mütter übers erste Jahr mit Ihrem Baby Bilanz ziehen können. Wie viele Frauen haben bereits daran teilgenommen und welche Erkenntnisse konntest du daraus ablesen?

Da ich noch keine Werbung für die Umfrage gemacht habe, haben bisher erst ca. 30 Frauen teilgenommen. Die größten Schwierigkeiten, und die, die den Frauen am meisten zu schaffen machen, sind beim Thema Schlaf vorhanden. Es ist aber auch die Rede vom Druck, der erzeugt wird durch das Bild, das die Gesellschaft von der jungen Familie zeichnet.

Auch in Bezug auf Partnerschaft wird hier oft betont, dass sich vieles schwieriger gestaltet als vor der Geburt des Kindes. Die Umfrage hat mir nochmal verdeutlicht, dass wirklich fast alle Mütter vor den gleichen Herausforderungen stehen.


Welche Rolle spielen die Väter, die Männer, in „Mamas Dorf“?

Tja … die arbeiten häufig in Vollzeit und sind eher selten verfügbar. Leider. So ist das ja immer noch in den meisten Familien, auch wenn sich natürlich in den letzten Jahrzehnten da schon viel getan hat. Schön ist es, wenn der Vater eben als Unterstützung auch im Haushalt und mit den Kindern so viel wie möglich übernimmt und wünschenswert wäre da natürlich eine gleichberechtigtere Aufteilung. Bzw. wichtig ist ja, dass die Paare eine bewusste und von beiden Seiten getragene Entscheidung treffen, wer welche Aufgaben übernimmt. Erschreckenderweise ist es für viele Arbeitgeber aber noch schwierig, den Vätern auch ohne schlechtes Gewissen oder Konsequenzen eine längere Elternzeit zuzugestehen. In das Thema Partnerschaft und Rollenverteilung möchte ich mich auch im Rahmen von „Mamas Dorf“ in nächster Zeit noch vertiefen.


Da wären wir auch schon bei meiner nächsten Frage: „Mamas Dorf“ ist noch im Aufbau, wohin soll die Reise gehen?

Toll wäre es, in jeder Stadt Gruppen bieten zu können, die Austausch und Unterstützung ermöglichen. Und natürlich wächst der Inhalt, es kommen immer mehr nützliche Adressen und Artikel dazu. Auch ein Podcast und virtuelle Treffen sollen in diesem Jahr noch starten.


Dein Wunsch für die Erstlingsmamas der nächsten Jahre?

Dass sie sich trauen, sich rechtzeitig Unterstützung zu suchen.

Habt den Mut nicht alles perfekt machen zu wollen und kümmert euch gut um euch selbst: nur wenn es euch gut geht, könnt ihr auch gut für eure Kinder sorgen.


Vielen Dank an Steffi & Marina für das tolle Interview!

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